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Warum es sich lohnt, in Niedrigzinsphasen flexibel zu bleiben

Samenvatting

Auf der einen Seite Niedrigzinsen, auf der anderen Inflationssorgen – die Anleger stecken derzeit wirklich in der Klemme. Wie können sie ihre Ersparnisse am besten schützen und vermehren? Wie sollten sie ihre Portfolios umstrukturieren, um nicht abgehängt zu werden?

Zentrale Punkte

  • Die Zinsen könnten zwar noch leicht ansteigen, werden aber im historischen Vergleich voraussichtlich weiterhin außerordentlich niedrig bleiben
  • Weltweit ist reichlich Kapital vorhanden, aber es mangelt an Anlagemöglichkeiten. Dies führt zu Abwärtsdruck auf die Zinsen
  • Die Verschuldung hat historische Höchststände erreicht. Bei niedrigen Zinsen lässt sie sich zwar bedienen, aber dennoch dämpfen hohe Schulden tendenziell das künftige Wachstum
  • Quantitative Lockerungen, die vor einem Jahrzehnt noch als Experiment galten, gehören inzwischen zum Standardinstrumentarium, und die Geldpolitik dürfte locker bleiben

Im vergangenen Jahr haben die großen Zentralbanken der Welt während der ganz akuten Phase der Covid-19-Krise in bisher einmaligem Umfang eingegriffen: Sie haben die Zinsen gesenkt, Staatsanleihen gekauft und reichlich Geld in die Weltwirtschaft gepumpt. Die Renditen von Staatsanleihen sanken daher auf historische Tiefstände von -0,9% für 10-jährige Bundesanleihen und 0,5% für 10-jährige US-Staatsanleihen („Treasuries“).

Inzwischen erholt sich die Konjunktur in weiten Teilen der Welt merklich, wenn auch uneinheitlich, und die Renditen sind wieder deutlich über ihre jüngsten Tiefstände gestiegen. Daher vertreten manche Beobachter die Auffassung, dass eine Trendwende bei den Zinsen stattgefunden habe. Sie argumentieren, die vier Jahrzehnte lange Haussephase an den Rentenmärkten (während derer die Renditen stetig gesunken sind) sei nun vorüber. Bei einer erneuten Beschleunigung der Wachstums- und Inflationsraten seien deutlich höhere Zinsen unvermeidlich..

Natürlich klingt die Vorstellung verlockend, dass der jüngste Anstieg der Anleiherenditen einen Regimewechsel einleite. Unseres Erachtens ist diese Auffassung jedoch irrig. Die Zinsen könnten zwar durchaus noch etwas ansteigen, aber es spricht vieles dafür, dass sie im historischen Vergleich weiterhin außerordentlich niedrig bleiben.

Zahlreiche Faktoren deuten darauf hin, dass die Zinsen noch länger niedrig bleiben. Dafür lassen sich sowohl langfristige wirtschaftliche Trends als auch Entwicklungen in der jüngsten Vergangenheit anführen. Daher sollten die Anleger ihre Portfolios dringend in diesem Sinne umstrukturieren. 

Langsameres Wachstum dämpft das Zinsniveau

Betrachten wir zunächst die längerfristigen Faktoren. Die Ursachen für die seit vierzig Jahren anhaltende Hausse am Markt für Staatsanleihen – und den damit einhergehenden Rückgang der Zinsen in den entwickelten Ländern (vgl. Grafik) – bestehen nach wie vor fort. Solange dies noch der Fall ist, wäre es verfrüht, von einer Trendwende zu sprechen.

Der Zinsrückgang ist vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: die jahrzehntelange Verlangsamung des Wachstums und der Inflation und sinkende langfristige Inflationserwartungen. Die nominalen Anleiherenditen entwickeln sich in der Regel parallel zum nominalen BIP. Wenn sich das Wachstum verlangsamt, sinken Zinsen und Anleiherenditen normalerweise. Insofern ist der Zins Ausfluss des Gleichgewichts zwischen der Nachfrage nach Investitionskapital und dem Angebot an verfügbarer Ersparnis, das diese Nachfrage befriedigt. Wenn sich das Wachstum verlangsamt, sinkt tendenziell die Nachfrage nach Investitionskapital, so dass die Zinsen unter Abwärtsdruck geraten.

Umgekehrt steigen die Zinsen an, wenn mehr Kapital nachgefragt wird, weil die langfristigen nominalen Wachstumsraten ansteigen. Dies ist auf absehbare Zeit jedoch unwahrscheinlich, vor allem angesichts der demografischen Entwicklung, des Wandels der modernen Volkswirtschaften und des langsameren Produktivitätswachstums. Zusammengenommen dämpfen diese Faktoren die Kapitalnachfrage und erhöhen gleichzeitig das Kapitalangebot.

Grafik: Zinsen und Renditen sinken seit Jahrzehnten 

Fed Funds Rate und US-Treasury-Renditen (1980-2021)


Grafik: Zinsen und Renditen sinken seit Jahrzehnten

Quelle: Refinitiv Eikon Datastream, Bloomberg, Allianz Global Investors GmbH.

Aufgrund der demografischen Entwicklung „ertrinkt“ die Welt in Ersparnis

Durch die steigende Lebenserwartung in den entwickelten Ländern hat sich die demografische Struktur verändert: Die Erwerbsbevölkerung schrumpft im Vergleich zu älteren Generationen. Dies hat zu einem weltweiten, beträchtlichen Anstieg der Ersparnis beigetragen, die in sicheren Vermögenswerten, vor allem Anleihen, investiert wird.

Gleichzeitig schwinden die Möglichkeiten für eine gewinnbringende Kapitalanlage. Denn in den entwickelten Ländern findet eine langfristige Verschiebung weg von Industrie und verarbeitendem Gewerbe (also Sektoren mit hohem Kapitalbedarf) und hin zu weniger kapitalintensiven Dienstleistern statt, deren Investitionsbedarf geringer ist.

Durch die Verlangsamung des Produktivitätswachstums verstärkt sich dieser Trend noch, weil dies zu niedrigeren langfristigen Wachstumsraten der Wirtschaft führt. Auch dadurch verringert sich die Nachfrage nach Investitionskapital.

Im Ergebnis ist also ein Überangebot an Kapital vorhanden, während es gleichzeitig an Anlagemöglichkeiten mangelt. Dies führt zu Abwärtsdruck auf die Zinsen. Alle diese Faktoren sind langfristiger und dauerhafter Natur; in nächster Zeit dürfte sich an ihnen nichts ändern.

Rekordstände bei der Verschuldung

Gleichzeitig hat die öffentliche und private Verschuldung seit der globalen Finanzkrise und vor allem seit Beginn der Covid-19-Krise im Jahr 2020 weltweit ein beträchtliches Niveau erreicht. Bei niedrigen Zinsen lassen sich hohe Schulden zwar leichter finanzieren, aber sie dämpfen nichtsdestotrotz tendenziell das künftige Wachstum, weil das Kapital statt in produktive Investitionen in den Schuldendienst fließt. Gleichzeitig werden die Kreditnehmer anfälliger für unerwartete Zinssteigerungen.

Rekordhohe Schuldenstände in wichtigen entwickelten Volkswirtschaften bringen auch beträchtliche Herausforderungen für die Zentralbanken mit sich. Wenn die Zinsen deutlich ansteigen, wird die bestehende Verschuldung womöglich zu einem großen Teil nicht mehr tragbar, was wiederum Staaten und Finanzmärkte destabilisieren könnte. In diesem Falle wird finanzielle Repression (bei der die Inflationsrate stetig über den Zinsen liegt) zu einem notwendigen Instrument der Geldpolitik – schlicht, um zu gewährleisten, dass die Kreditnehmer ihre Schulden weiterhin tragen können. Damit wird es wiederum schwieriger für die Anleger, die zum Schutz ihrer Ersparnis ein gewisses Renditeniveau benötigen.

Der Schwerpunkt der Zentralbankpolitik hat sich im Grunde verlagert. Maßnahmen wie quantitative Lockerungen („quantitative easing“ oder „QE“), die vor einem Jahrzehnt noch als Experiment galten, gehören inzwischen zum Standardinstrumentarium. Statt so rasch wie möglich aus der aktuellen Politik auszusteigen, betonen die Zentralbanken heute eher die Risiken von zu wenig statt von zu viel Unterstützung für die Wirtschaft.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die Geldpolitik auch angesichts der zu erwartenden, kräftigen Konjunkturerholung in diesem und im kommenden Jahr allen Anzeichen nach locker bleiben wird. Die US-Notenbank Federal Reserve wird ihr Anleihekaufprogramm wohl nur sehr langsam reduzieren, und mit einer Zinsanhebung ist frühestens 2023 zu rechnen. Im Euroraum wird die Geldpolitik extrem locker bleiben.

Alles in allem spricht daher viel dafür, dass die Zinsen in den entwickelten Volkswirtschaften aller Wahrscheinlichkeit nach noch auf Jahre hinaus auf ihrem historisch niedrigen Niveau verharren werden. Die Erträge von sicheren Vermögenswerten werden also nahe Null verharren.

Portfolioimplikationen

Wie sollten die Anleger darauf reagieren? Es war in der Vergangenheit kaum je schwieriger, verlässliche Erträge zu erzielen. In Zeiten der finanziellen Repression ist es gar nicht so einfach, überhaupt die Kaufkraft zu bewahren. Und wenn es die Anleger auf ihrer Suche nach Zusatzrenditen wagen, nicht nur auf traditionelle Vermögenswerte zu setzen – wie sollen sie dann ihre Risiken möglichst gut diversifizieren und managen?

  • Eine Hantel als Bild für die Allokationstätigkeit  – Vielleicht hilft es bei der Lösung dieser Herausforderungen, sich die verschiedenen Gruppen von möglichen Anlagen als Enden einer Hantel vorzustellen. Am einen Ende sitzen Anlagen, die dem Kapitalschutz dienen (z.B. Staatsanleihen, Kredite und bargeldähnliche Mittel), am anderen Ende Anlagen, die für Kapitalwachstum und Erträge sorgen sollen (z.B. Schwellenländeranleihen, Aktien und am privaten Markt gehandelte Vermögenswerte wie Infrastruktur-Eigen- und -Fremdkapital und private Darlehen). Die Anleger können dann ihre Wahl zwischen verschiedenen Multi Asset-Lösungen treffen, die jeweils Elemente aus beiden Gruppen kombinieren und damit unterschiedliche Ergebnisse anstreben. 
  • Flexibel bleiben  – In den vergangenen Jahren hat sich eines ganz deutlich gezeigt: Die Lage an den Kapitalmärkten kann sich heutzutage ganz rasch ändern. In diesem Falle muss natürlich auch der optimale Anlagemix angepasst werden. Dies erfordert einen hochgradig dynamischen Positionierungsansatz: Die Anlageallokationen im Portfolio müssen rasch verschoben werden, wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen ändern, um die Diversifizierungsvorteile zu wahren und ein flexibles Risikomanagement sicherzustellen.
  • Dauerhafte Portfolioumschichtungen erwägen  – Möglicherweise sind auch einige dauerhafte Änderungen in der Portfoliostruktur sinnvoll.  Insbesondere könnten Aktien künftig sehr viel mehr Gewicht in traditionellen Portfolios haben, die sowohl Aktien als auch Anleihen enthalten. So könnte sich das Verhältnis in einem konventionellen, ausgeglichenen Portfolio, das bisher zu 70% aus Anleihen und 30% aus Aktien besteht, z.B. in Richtung 50:50 bewegen. Ein aggressiver ausgerichtetes Portfolio mit einem bisherigen Verhältnis von 60:40 könnte zu einer Mischung aus 80% Aktien und 20% Anleihen oder sogar aus 100% Aktien mit einer zusätzlichen Absicherung gegen Aktienrisiken tendieren. Gleichzeitig dürften die Allokationen in am privaten Markt gehandelte Vermögenswerte deutlich ansteigen, die ihrerseits Kapitalwachstum und zusätzliche Rendite erbringen sollen. Ihr Anteil könnte in einem typischen institutionellen Multi Asset-Portfolio auf 20% ansteigen.

Die Ursachen für den stetigen Rückgang der Zinsen in den vergangenen vier Jahrzehnten in Richtung Null bestehen fort und werden auf absehbare Zeit weiterhin beträchtlichen Einfluss ausüben. In diesem Umfeld müssen die Anleger die Anlageallokation anders angehen und sehr viel flexiblere Risikomanagement- und Diversifizierungsansätze verfolgen Nur so können sie mit den sich rasch ändernden Marktbedingungen umgehen.

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